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„Sag zum Abschied leise Grewenig“

Wie gehen wir mit unserer industriellen Hinterlassenschaft um? Das war einmal ein heiß diskutiertes Thema im Land, ein richtiger Aufreger. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet. Alles, so scheint es, geht seinen geregelten Gang und alle haben sich – irgendwie – arrangiert: mit dem Weltkulturerbe Völklinger Hütte und seinem Zampano Meinrad Maria Grewenig, mit dem Dino-Zoo in Reden und auch mit den halben Sachen und dem Stillstand in Göttelborn.

Alle? Nicht unser Autor Josef Reindl. Der hat das »Panoptikum der saarländischen Industriekultur« noch einmal gründlich unter die Lupe genommen und kommt dabei zu interessanten, wenn auch für die Betroffenen nicht unbedingt schmeichelhaften Ergebnissen. Mit seinem ausgreifenden und erfrischend angriffslustigen Essay mit dem Titel Das Elend der Saarländischen Industriekultur eröffnen wir das Heft.

Auch unser zweites Thema hat es in sich. Die Regierung des Landes ist gerade dabei, mit einer rigiden Sparpolitik die Universität in Saarbrücken nach allen Regeln der Kunst kaputt zu sparen. Aber niemand regt sich darüber richtig auf! Ja, die Studenten haben mal kurz den Aufstand geprobt und sind auf die Straße gegangen. Das war´s aber auch schon. Ansonsten folgen Medien und Öffentlichkeit handzahm den Vorgaben der Politik. Auch dem Präsidenten der Universität ist viel zu lange nichts Anderes eingefallen als Anpassungsrhetorik und Durchhalteparolen. Die Saarbrücker Hefte haben sich deshalb noch einmal auf den Weg an die Uni gemacht und ein ausführliches Gespräch mit Professor Eike Emrich vom Arbeitsbereich Sportökonomie und Sportsoziologie und seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Freya Gassmann geführt. Prof. Emrich deshalb, weil er sich eingehend mit der Kosten-Nutzensituation der Universität beschäftigt hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, daß von jedem Euro, den das Land in die Universität investiert, summa summarum ein Euro sechzig an das Land zurück fließt. Konservativ gerechnet! Die Regierung, so das doch einigermaßen erstaunliche Fazit unseres Gesprächs mit den beiden Wissenschaftlern, nutzt dieses Potential der Universität aber nicht. Im Gegenteil: sie zerstört mit ihrer »rigiden Sparpolitik« die Universität. Auch mit den aktuell zugesagten zusätzlichen Mitteln hält sie das Ausbluten der Universität nicht auf, sondern verlangsamt es nur. Statt also die Universität tot zu sparen, so die Wissenschaftler, wäre es viel sinnvoller, in sie zu investieren. Außerdem: Und auch darauf macht Prof. Emrich aufmerksam: Eine prosperierende Universität verbessert die Einnahmesituation des Landes und hilft damit auch der Regierung in ihrem Kampf um die politische Unabhängigkeit des Landes.

Wie es unsere Leser gewohnt sind, bringen wir auch diesmal einen ausführlichen zeithistorischen Block. Wir berichten über Fußball in Neunkirchen während der Zeit des Ersten Weltkriegs, über die Geschichte des Neunkircher Kaufhauses Witwe Levy und bringen einen Auszug aus den Lebenserinnerungen des Saarbrücker Rabbiners Schlomo Rülf.

Apropos Erinnerungen. Vor 40 Jahren wurde die Städtepartnerschaft Tbilissi-Saarbrücken geschlossen. Herbert Temmes erinnert in seinem Beitrag an dieses Datum und hat mit Marianne Granz – sie war maßgeblich an ihrer Entstehung beteiligt – über die Partnerschaft gesprochen.

Natürlich findet auch die Literatur im neuen Heft ihren gebührenden Platz. Vom Saarbrücker Autor Jörg W. Gronius drucken wir Gedichte und die Erzählung Vor dem Einstieg. Außerdem lassen wir den jungen Völklinger Autor Konstantin Ames – zur Zeit in Berlin ansässig – zu Wort kommen. Er hat einen Text geschrieben, in dem alles, wie er es nennt, »futsch verrutscht« ist, und in dem auch der schön-futsch-verrutschte Satz »Sag zum Abschied leise Grewenig« unserer Überschrift zu finden ist. Völklingen ist eben überall, Grewenig sowieso.

Und ganz zum Schluß auch das noch: Die Stadtmütter und – Väter Saarbrückens haben beschlossen, mal eben die Stelle des Kulturdezernenten einzusparen! Daß gespart werden muß in der Stadt, das sehen natürlich auch wir ein. Wir können uns sogar vorstellen, daß der eine oder andere Dezernent entbehrlich ist. Daß es aber wieder die Kultur ist, die bluten muß, darüber können wir uns dann doch richtig aufregen.

Trotzdem: Wir wünschen unseren Lesern viel Spaß mit den neuen Saarbrücker Heften.

Dietmar Schmitz

5 Editorial: »Sag zum Abschied leise Grewenig«

7 Josef Reindl

Das Elend (mit) der Industriekultur

22 Das saarländische Fenster in die Welt

Zur aktuellen Situation der Universität des Saarlandes

31 Dirk Bubel

Spar-Geist-Uni

32 Julian Bernstein

Zweistufiges Verhungern am ausgestrecken Arm

Wie ein Land seine Universität ruiniert

36 Herbert Temmes

Eine Reise weitwohin

Über ein fernes und zugleich nahes Land: Georgien

38 »Wir haben gesungen und gefeiert als seien wir immer schon miteinander verwandt gewesen«

Anmerkungen von Marianne Granz, Ministerin a. D., zur Städtepartnerschaft mit Tbilissi/Georgien

43 Kataster statt Kalaschnikow

Ein Gespräch mit Gerhard Laux über die Einführung des Kataster- und Grundbuchwesens in Georgien seit Mitte der 1990er Jahre

47 Sabine Graf

Wer Gefühle zeigt, hat schon verloren

Michael Riedels Entwurf für die Gestaltung der Fassade des Vierten Pavillons

54 David Lemm

Den Leerstand in den Köpfen beseitigen

Sehnsüchte, Utopien, Träume: Saarbrücker Initiativen verwandeln leerstehende Gebäude in Kreativräume

59 Wie die Laleburger ihr Rathaus aufgeführt und der Fenstern vergessen haben

62 Ulrich Herb

Par ordre du mufti: Wir haben ein Image von der Stange

65 Daniel Hausig

Lichtinstallationen

72 Konstantin Ames

Zuß, Staub auf der Romantischen Straße

Völklingen (Verb, 670 x 100 mm)

75 Jörg W. Gronius

Vor dem Einstieg

78 Hans-Jürgen Greif

Les yeux de l’ogre

83 Jörg W. Gronius

Traumwohnungen & Götter

Gedichte und Anrufungen

89 Tobias Fuchs

Das Warenhaus und die Familie

Die Joseph Levy Witwe AG und ihre jüdischen Besitzer

98 Myriam Weidmann

»Arisierung« und Entschädigung in St. Ingbert

Die Verlustgeschichte einer jüdischen Gemeinde im Saarland und der Versuch der Wiedergutmachung

107 Schlomo Rülf

Abstimmungskampf

113 Fabian Trinkaus

Krise, Umbruch, Langzeitfolgen

Der Erste Weltkrieg in Neunkirchen

119 Bernd Reichelt und Tobias Fuchs

Krieg und Spiele

Die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf den Fußball im saarländisch-lothringischen Grenzraum

126 Georg Bense

Großvater, warst du ein Held?

132 Mirka Borchardt

Der Niedergang des Argentinischen Tageblatts

Die traurige Geschichte einer deutschsprachigen Auslandszeitung

139 Seiji Kimoto, Vom Baum geschüttelt (Eva Bense)

140 Nino Haratischwili, Das achte Leben (für Brilka) (Herbert Temmes)

143 Mohsen Ramazani-Mogghaddam, Ein Hauch Vergangenheit (Stefan Ripplinger)

145 Hans-Jürgen Greif, La colère du faucon (Christoph Vatter)

146 Fabian Trinkaus, Arbeiterexistenzen und Arbeiterbewegung in den Hüttenstädten Neunkirchen/Saar und Düdelingen/Luxemburg (1880–1935/40) (Winfried Buseman

Konstantin Ames, geb. 1979 in Völklingen, Mitherausgeber des Onlinemagazins karawa.net, lebt in Berlin. Veröffentlichungen: Alsohäute (Leipzig – Holderbank SO: roughbooks 2010), sTiL.e(ins) Art und Weltwaisen (Berlin – Solothurn: roughbooks 2012).

Eva Bense, geb. 1951 in Frankreich, Muttersprache französisch, lebt seit 1973 im Saarland. Nach Studium der Kunstgeschichte und Japanologie Tätigkeit als Produzentin und Redakteurin für ZDF und SR.

Georg Bense, geb. in Köln, aufgewachsen in Stuttgart, Fernsehjournalist, Autor, Regisseur und Kameramann zahlreicher Filme für ARD, ZDF und arte.

Mirka Borchardt, geb. 1987 in Gütersloh, Studium der Historisch orientierten Kulturwissenschaften, Veröffentlichungen in der Saarbrücker Zeitung, FAS, Jungle World.

Julian Bernstein, geb. 1981 in Saarbrücken, Studium der Geschichte, der Interkulturellen Kommunikation und der franz. Literatur, M. A., als freier Journalist u. a. tätig für SR2, Jungle World, Jüdische Allgemeine, Woxx.

Dirk Bubel, geb. 1955, Studium der Soziologie und Sozialpsychologie, wechselnde Tätigkeiten im In- und Ausland als Autor, Journalist und Kleinbauer, Mitarbeiter an verschiedenen Zeitschriften- und Verlagsprojekten, seit 1989 Projektberater bei der Arbeit und Kultur Saarland GmbH.

Winfried Busemann, Historiker, im Ruhrgebiet aufgewachsen, Veröffentlichungen zur Geschichte rheinischer und saarländischer Arbeiterbewegungen, zur Alltagsgeschichte und zur Entschädigung saarländischer NS-Opfer.

Tobias Fuchs, geb. 1981, studierte Neuere Deutsche Philologie, Kunstgeschichte und Philosophie in Berlin. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der LMU München, forscht derzeit am Lehrstuhl für Komparatistik der FAU Erlangen-Nürnberg. Gründer und Vorstand des Ellenfeld e. V., der sich der saarländischen Fußballgeschichte widmet. Jüngste Publikation: Kleines Land, großer Fußball – Das Saarland in der Bundesliga, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in Neunkirchen und Berlin.

Sabine Graf, Dr., geb. 1962 in Zweibrücken, Studium der Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität des Saarlandes, Promotion über den Schriftsteller Otto Flake und dessen publizistisches Werk zwischen Selbstverständigung und Selbstinszenierung. Arbeitet als Autorin und Kunstkritikerin.

Hans-Jürgen Greif wurde 1941 in Völklingen im Saarland geboren und studierte Sprachen, romanische, deutsche und vergleichende Literatur sowie Philosophie und Pädagogik. Ab 1969 war er Professor für französische und deutsche Literatur und deutsche Phonetik an der Université Laval in Québec in Kanada. Im Jahr 2007 wurde er dort emeritiert.

Jörg W. Gronius, Dr., geb. 1952 in Berlin, lebt als freier Autor in Saarbrücken. Romane: Ein Stück Malheur (2000), Der Junior (2005), Plötzlich ging alles ganz schnell (2007), Horch (2012), Last Call (Conte Verlag 2013); Kurzgeschichten: Das Wunder Hannover (2002), Im Reich der Fische (Conte Verlag 2009), Die Farbe der Könige (Topicana 2012); Lyrik: Beckfeld Vertigo (2003).

Ulrich Herb, Diplom-Soziologe, Promovend in Informationswissenschaft. Seit 2001 aktiv in der Open-Access- und Open-Knowledge-Szene. Angestellter der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek, freiberuflicher Journalist und Wissenschaftsberater, universitärer Lehrbeauftragter.

David Lemm, geb. 1979, M.A., lebt und arbeitet in Saarbrücken.

Bernd Reichelt, geb. 1978 in Riedlingen. Studium der Historisch orientierten Kulturwissenschaften in Saarbrücken (Dipl.-Kulturwissenschaftler). Seit 2011 Mitarbeiter im Forschungsbereich Geschichte und Ethik der Medizin im ZfP Südwürttemberg in Zwiefalten. Dissertation Fußballsport im dt.-frz. Grenzraum Saarland/Moselle, 1900–1952 an der Universität Kassel. Veröffentlichungen und Vorträge u. a. zur Geschichte des Sports.

Josef Reindl, freier Sozialforscher. Lebt in Saarbrücken.

Stefan Ripplinger, geb. 1962 in St. Ingbert. Freier Autor. Von ihm erschienen zuletzt der Essay Mary Pickfords Locken, Berlin 2014, und seine Übersetzung von Jacques Decours Philisterburg, Berlin 2014.

Schlomo Rülf, geb. 1896, verst. 1976, deutscher Rabbiner und Schriftsteller, der von 1929 bis 1935 die Saarbrücker jüdische Gemeinde leitete, 1935 Emigration nach Palästina.

Herbert Temmes, geb. 1969, Studium der Geschichte und Germanistik; MBA Gesundheitsökonomie; Geschäftsführer der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft LV Saarland e. V.

Fabian Trinkaus, geb. 1980 in Homburg/Saar, Studium der Geschichtswissenschaft und Germanistik an der Universität des Saarlandes, Abschluß 2009. Seit November 2009 Promotion im Fach Geschichte an der Universität des Saarlandes und der Universität Luxemburg zum Thema Arbeiterexistenzen und Arbeiterbewegung in der Eisen- und Stahlindustrie.

Christoph Vatter, Prof. Dr., geb. 1974, Studium der Romanistik, Interkulturellen Kommunikation und Deutsch als Fremdsprache in Saarbrücken und Québec (Kanada); deutsch-französische Promotion über Film und kollektives Gedächtnis 2008. Seit 2010 Juniorprofessor für interkulturelle Kommunikation an der Universität des Saarlandes. Mitglied des deutsch-kanadischen Graduiertenkollegs Diversity: Mediating Difference in Transcultural Spaces (Saarbrücken/Trier/Montréal) und der Arbeitsstelle für interkulturelle Québec-Studien.

Myriam Weidmann, geb. 1988 in St. Ingbert, Studium der Germanistik und Geschichte (Bachelor-Abschluß 2012) sowie Studium der Historisch orientierten Kulturwissenschaften (Diplom-Abschluß 2014) an der Universität des Saarlandes, von 2013 bis 2014 Leiterin des PR-Büros der Fachrichtung Mechatronik an der UdS, seit 2015 Geschäftsführerin der Fakultät 7 an der UdS.